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PRESSESTIMME

AN DER SEELE WIRD GESPART

aus der  Leipziger Volkszeitung vom 3. Februar 2005

Es gibt Dinge, die man gar nicht oft genug fordern kann. Für eine »Ost-erweiterung des europäischen Bewusstseins« warb Kulturstaatsministerin Christina Weiss am Montagabend in einer Rede zum »Kulturprojekt Europa« in Berlin. Gleiches tat sie im März 2004 an der Universität Wroclaw. Ihre Premiere hatte die Hoffnung auf besagte Bewusstseinserweiterung allerdings bereits am 16. September 2003, beim ersten Kulturpolitischen Salon in der Leipziger Oper.

Knapp eineinhalb Jahre später, inzwischen ist Europa um zehn Staaten größer, geht es an gleicher Stelle erneut ums Thema. Und während die Kulturstaatsministerin weiter wacker für ihre Ideen wirbt, werden sie hier schon auseinander genommen. »Unbekannte Nachbarn? - Europäische Kulturpolitik konkret«, lautete am Dienstagabend die Überschrift. Es moderierte die Leipziger Journalistin Ulrike Gropp. Wieder war das Konzertfoyer fast bis auf den letzten Platz gefüllt.

Die Saarbrücker CDU-Europaabgeordnete Doris Pack rahmt erst einmal den Spielraum ein: 47 Prozent des EU-Haushalts flössen in die Landwirtschaft, berichtet sie, 0,03 in die Kultur, die doch die europäische Seele ausmachen soll. Noch Fragen? Durchaus. Wie sieht es mit einem Programm für die kulturellen Leuchttürme in Osteuropa aus, das Weiss in Leipzig angeregt hatte? Pack winkt ab. »Kein Geld.« Und überhaupt: »Dafür gibt es doch die Unesco.« Außerdem würde man damit die Leute nicht erreichen. Manfred Ackermann, Mitinitiator des »Blaubuchs für Ostdeutschland« hält mehr davon, das Prinzip auf ganz Osteuropa auszudehnen. Das sei ein Akt der Solidarität. »Im Osten leben nun mal die Ärmeren.« Man habe in der Tat begrenzte Möglichkeiten. Und natürlich sei es problematisch, einen Kanon der wichtigsten Kultureinrichtungen aufzustellen. »Aber wenn wir das nicht tun, bleibt es bei Gebrabbel.« Und nichts passiere.

Kazimierz Woycicki, Ex-Direktor des Polnischen Instituts in Leipzig und heute Leiter des Instituts für Nationales Gedenken in Stettin, macht sich weniger Sorgen um die Häuser als um die Hirne: »In Sachsen gibt es rund eine halbe Million Schüler. Davon lernen 1000 Tschechisch und 600 Polnisch.« Wie steht es hier um die »Osterweiterung des europäischen Bewusstseins«? Schlecht, meint Woycicki: In Deutschland herrsche eine tiefe Fremdenangst gegenüber den Polen, »auch auf der mittleren Beamtenebene«. Es gehe nicht darum, dass die Sachsen die Polen mögen, sondern um ihr Interesse.

»Wenn 30 Prozent der Neuwähler mit dem Rücken an Polen NPD wählen, hat das eine wirtschaftliche Bedeutung.« Das Dreiländereck Tschechien, Polen, Deutschland könne eine florierende Region werden. Wenn es hier 15 Jahre nach der Wende aber immer noch gut gemeinte Projekte für kulturelle Kooperation geben müsse, spreche das für die Leute, die sie machen, »aber gegen die Region«, ärgert sich Woycicki. Sachsen drohe so zu einem Transitland zu werden. »Die Leute wandern ab, weil sie glauben, hinter der Grenze beginne die Steppe. Wir brauchen hier eine mentale Revolution, liebe Sachsen.«

In Tschechien hat die längst stattgefunden. »Die Veränderung kam schon vorher, nicht erst mit der EU-Mitgliedschaft«, berichtet Jan Sokol, ehemaliger tschechischer Bildungsminister, außerdem Philosoph und Anthropologe. »Pessimisten dachten, die Kultur würde zusammenbrechen, weil Subventionen gekürzt und viel weniger Theater unterstützt wurden.« Trotzdem gebe es nicht weniger Theater als früher. Die Leiter müssten sich viel mehr einfallen lassen, um ihre Häuser zu erhalten. Außerdem seien nie so viele Bücher erschienen wie heute. »Es gibt auch viel Wertloses, weniger für Feinschmecker. Es ist nicht immer appetitlich, aber es lebt«, sagt Sokol. Vom Blaubuch-Projekt hält er wenig. »Da würde sich ein großer Haufen Korruption drum herum sammeln.« Wichtig sei jetzt der weitere Austausch, Kennenlernen, ein gemeinsamer Fernsehsender und eine europäische Enzyklopädie.

Ein Fall für Weiss und Kollegen. Bliebe die Frage, wie das mit dem eher fiktiven EU-Budget für die Kultur gehen soll. »Wir wählen doch die Abgeordneten, damit sie unser Anliegen durchsetzen«, ruft eine Frau aus dem Publikum.

 

© Jürgen Kleindienst, Leipziger Volkszeitung, 03.02.2005.
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